Eine Idee wird Wirklichkeit

Interview mit Initiator Klaus Vock

Klaus Vock vor dem Brandenburger Tor 2017

Eines Tages waren sie plötzlich da, die Gleichgewichtsprobleme und Doppelbilder. Dann kam im Jahr 2001 die Diagnose: Multiple Sklerose (MS). Und mit ihr die Angst, nie mehr Fahrradfahren zu können. So erging es Klaus Vock, Initiator der radfahrlust©. Der leidenschaftliche Radfahrer fühlte sich auf seinem klassischen Zweirad zunehmend unsicher und musste den Sport schließlich aufgeben – bis er im Jahr 2007 die SPEZI besuchte.

Auf Europas größter Spezialradmesse in Germersheim probierte Klaus Vock zum ersten Mal Liegedreiräder aus. Von der „neuen Art des Radelns“ war er sofort begeistert. Diese Freude wollte er auch an andere weitergeben. Mit einem geliehenen Trike (vom Händler vor Ort) fuhr er zum Freiburger MSStammtisch, wo er andere Betroffene mit seiner Radfahrlust infizierte. Bis heute leitet Klaus Vock die gleichnamige Selbsthilfegruppe innerhalb der DMSG und organisiert federführend die jährlichen Touren: von A wie Antrag auf Förderung bis Z wie Zurückbringen der Leihräder zu den Herstellern.

FRAGE: KLAUS, WAS BEDEUTET FÜR DICH DIE „FREIHEIT AUF DREI RÄDERN“?

KLAUS VOCK: „Freiheit auf drei Rädern“ heißt für mich, dass das Dreirad, das ich jetzt fahre, mir die Freiheit gibt, mich so zu bewegen, so mobil und unabhängig zu sein, wie ich es vor dem Ausbruch meiner Krankheit gewesen bin.

Als ich noch mitten im Berufsleben stand, war das Fahrradfahren für mich immer das A und O, um von dem Stress, der Spannung runterzukommen. Ich war kein Mega-Sportler, aber ich war ganz viel mit dem Rad unterwegs. Und dann ließen mich meine Augen, mein Gleichgewichtssinn im Stich. Ich bin beim Aufsteigen manchmal umgefallen – mitten in der Innenstadt von Freiburg, wo ich damals gewohnt habe, das war peinlich. Ich hab’s immer wieder probiert, habe dann aber wirklich einsehen müssen: Es geht nicht mehr. Vorbei. Bis ich dann in Germersheim auf der SPEZI 2007 diese fantastischen Dreiräder entdeckt habe.

FRAGE: DIE SPEZI 2007 WAR FÜR DICH GLEICHZEITIG DER AUSGANGSPUNKT FÜR DIE RADFAHRLUST©-IDEE. WAS GENAU IST DORT PASSIERT?

KLAUS VOCK: Überwältigt von der Fülle an Spezialrädern, allen voran die Liegedreiräder, verbrachte ich den kompletten Samstag und Sonntag auf dem Testparcours. Ich wollte einfach nicht mehr absteigen! Am Sonntagabend saß ich dann mit meiner Partnerin im Biergarten von Germersheim und las im Messekatalog einen Bericht über die Blind Cycle Tour von Sebastian Burger, der mit sehbehinderten Menschen von Bremen nach Singapur geradelt ist. Da dachte ich sofort: „Und eines Tages fahren wir MS-Betroffenen mit Spezialrädern quer durch die Republik!“

FRAGE: UND WANN GING ES DANN LOS?

KLAUS VOCK: Da ich mit der Organisation solcher Touren keinerlei Erfahrungen hatte, nahm ich Kontakt zu Sebastian Burger auf, der sehr hilfsbereit war. Schon im Frühjahr des darauffolgenden Jahres, im April 2008, fand die erste radfahrlust©-Tour mit Leihrädern von HP Velotechnik statt. Unter dem Motto „Jetzt erst recht!“ fuhren sechs Radler von Freiburg aus entlang des Rheins über Offenburg und Karlsruhe nach Germersheim – und das bei jedem Wetter. Das Dreiradfahren macht selbst bei Regen Riesenspaß! Seitdem sind wir jedes Jahr – meistens im September/Oktober – für jeweils eine Woche auf Deutschlands Rad- und Waldwegen unterwegs. Inzwischen sind wir eine rund 50-köpfige Gruppe von MS-Betroffenen und Angehörigen. Unser Spezialrad-Konvoi kann schon mal gut 200 m lang sein. Jedes Jahr erkunden wir eine andere Region unseres Landes und sind noch lange nicht am Ende …

radfahrlust-Tour 2010: Frankfurt – Germersheim